Risikomanagement - Projektrisiken der
Anforderungsanalyse
Zusammenfassung
Allgemeines
Risiken der Anforderungsanalyse im
Verantwortungsbereich des Analytikers
Risiken der Anforderungsanalyse im
Verantwortungsbereich des Managements
Risiken der Anforderungsanalyse im
Verantwortungsbereich des Auftraggebers
Risiken der Anforderungsanalyse im
Verantwortungsbereich von Zulieferern
Zusammenfassung
Auf dieser Seite werden die wesentlichen Risiken dargestellt, die
innerhalb eines IT-Projekts im Umfeld der Anforderungsanalyse auftreten
können. Dabei wird nicht nur auf die unmittelbar vom Business
Analysten zu verantwortenden Risiken eingegangen, sondern auch auf
Risiken im weiteren Projektumfeld, auf die der Analytiker
möglicherweise keinen Einfluss hat. Die Menge potentieller Risiken
führte zu einer lediglich Checklisten-artigen Auflistung.
Allerdings sind die einzelnen Punkte fast immer selbsterklärend
und in der Praxis reicht es im Rahmen der üblichen project
survival tests aus, die Checklisten durchzuarbeiten. Bitte fragen Sie
im Einzelfall nach, wenn etwas nicht ganz klar ist (Kontakt).
Allgemeines
Projektrisiken lauern an allen Ecken und Enden eines IT-Projekts.
Folgende Klassifizierung lässt sich ungefähr vornehmen:
- Anforderungsanalyse
- Erstplanung (erste Version eines Plans für ein neues Projekt)
- Organisation und Management
- Entwicklungsumgebung (räumlich, technisch)
- Design und Implementierung
- Auftraggeber und Fachanwender
- Zulieferer und externe Unternehmen
- Produkt
- äußere Umstände (sich ändernde Standards,
Regelungen)
- Personal
- Formalien und Bürokratie
[Fowler2] unterscheidet
etwas pragmatischer und weniger differenzierter in
- Anforderungsrisiken
- technologische Risiken
- Risiken bei den Fähigkeiten
- politsche Risiken
Innerhalb eines IT-Projekts sind Fehler in der Projektplanung, vor
allem eine unzureichende Erstplanung, die teuersten Risiken. An zweiter
Stelle folgen Risiken der Anforderungsanalyse. Außerhalb des
eigentlichen IT-Projekts kommen jedoch Risiken durch Organisation und
Management sowie Auftraggeber und Fachanwender noch vor den
Projektplanungsrisiken. Mangelhafte Unterstützung des Projekts,
Desinteresse, Entscheidungslosigkeit und Einmischungen in die
technischen Entwicklungsphasen sind zusammen mit politischen
Entscheidungen, die häufig durch ebenso teure wie rhetorisch
talentierte Berater beeinflusst werden, Risiken, auf die das
Entwicklerteam keinen Einfluss nehmen kann. Ist gar der Analytiker oder
Projektmanager inkompetent, so
ist ein Projekt-Misserfolg so gut wie sicher.
Hier werden nur die Risiken dargestellt, die im näheren und
ferneren Umfeld der Anforderungsanalyse entstehen können.
Risiken der
Anforderungsanalyse
im Verantwortungsbereich des Analytikers
Der Business Analyst führt die Anforderungsanalyse durch und
schreibt das Anforderungsdokument. Er ist
die erste Schlüsselfigur auf dem Weg von der Produktidee zum
abgenommenen fertigen Produkt. Ein Analytiker
kann folgende Fehler machen, bzw. von der Person des Analytikers gehen
folgende
Risiken aus:
- Der Endanwender wird nicht befragt.
- Der Analytiker akzeptiert ein Verbot, mit dem Kunden nicht frei
zu kommunizieren.
- Die Anforderungen werden nur unzureichend spezifiziert und
bleiben bis in die Entwicklungsphase hinein interpretierbar.
- Die Anforderungen sind nicht so formuliert, dass sie testbar sind.
- Der Analytiker nimmt nach Ende der Spezifikationsphases weitere
Informationen in das Anforderungsdokument auf, ohne das Change
Request-Verfahren zu beachten.
- Der Analytiker animiert den Auftraggeber zu nicht notwendiger
Funktionalität.
- Der Analytiker befasst sich nicht ausreichend mit Interfaces zu
Fremdsystemen.
- Es bestehen Abhängigkeiten von einer Technologie oder einem
Produkt, das selbst noch in Entwicklung ist, und der Analytiker
beachtet die Produktentwicklung nicht.
- Der Analytiker greift dem technischen Design vor.
- Der Analytiker berücksichtigt nicht die Bedürfnisse des
IT-Teams bzw. die Notwendingkeiten eines Software-Entwicklungs-Prozesses
- Der Analytiker berichtet nicht ausreichend über die
Entwicklung der Anforderungsanalyse.
- Der Analytiker ist überlastet, ein normaler Arbeitstag
reicht für das Projekt nicht aus.
- Der Analytiker hat noch andere Aufgaben und steht nicht
ausreichend dem Projekt zur Verfügung.
- Der Analytiker ist desinteressiert.
- Der Analytiker sabotiert das Projekt.
Risiken der
Anforderungsanalyse
im Verantwortungsbereich des Managements
Personal - Auswahl des Business Analysten
- Die Kompetenzen des ausgewählten Analytikers passen nicht
zur Domäne (domain, Problembereich). Abhängig von der
betrieblichen Situation bestehen folgende Kompetenzrisiken:
- der Analytiker bringt für die Domäne nicht
genügend Sachkompetenz mit: der Analyseprozess zieht sich in
die Länge, der Analytiker erkennt triviale Probleme nicht
- der Analytiker bringt für die Domäne zu viel
Sachkompetenz mit, insbesondere unternehmensspezifisches Wissen: der
Analytiker ist wie die befragten Fachanwender betriebsblind, neue Ideen
und Wege werden nicht erschlossen, Optimierungen finden nicht statt,
die Analyse ist nur unvollständig, der Analytiker entscheidet
eigenmächtig ohne
ausreichende Interaktion mit den Fachanwendern
- Das Management bzw. die Personen, die den Business Analysten
auswählen, haben nicht die Kompetenz zu einer sinnvollen
Personalauswahl, sie können die Fähigkeiten des Analytikers
nicht beurteilen.
Beispiele aus der Praxis
Ein Personalvermittler lehnte die Weiterleitung des Lebenslaufs eines
Bewerbers an den Auftraggeber mit der Begründung ab, dass man
einen Business Analysten für ein CRM-System (customer relationship
management) suchen würde. Der Bewerber hatte im Lebenslauf die
Begriffe "CRM
consultant" und "solutions analyst" benutzt. Aus dem Lebenslauf war
sehr
klar erkennbar, dass er zu den besten CRM-Spezialisten
Großbritanniens
gehörte.
Eine Stellenbeschreibung enthielt die Forderung, dass der Kandidat
für einen BA-Vertrag für eine Bank sich im Bereich Options
und Futures gut auskennen muss, Detailwissen über Derivate aber
nicht unbedingt notwendig wäre. (Falls Sie sich mit Wertpapieren
nicht auskennen: Optionen und Futures sind Derivate)
In einer Stellenausschreibung waren für einen Business Analysten
Kenntnisse in Oracle, MS SQL-Server und relationale Datenbanksysteme
gefordert. Ein Bewerber stellte fest, dass sein Interviewpartner, der
über seine Einstellung entscheiden sollte, nicht
wusste, dass Oracle und MS SQL-Server relationale Datenbanksysteme
waren.
Projektplanung
Projektplanungsfehler liegen ausschließlich in der Verantwortung
des Projektmanagements. Die häufigsten Fehler bzw. Risiken im
Umfeld der Anforderungsanalyse sind:
- Für die Spezifikationsphase wird nicht genügend Zeit
vorgesehen.
- Wenn vorab Budget und Liefertermin feststeht, wird keine
verbindliche Vereinbarung mit dem Kunden getroffen, dass Zeit- und
Budgetpläne überarbeitet werden müssen, wenn die
Spezifikationsphase länger als ca. ein Drittel der
Gesamtprojektdauer dauert.
- Wenn vorab Budget und Liefertermin feststeht, wird keine
verbindliche Vereinbarung mit dem Kunden getroffen, dass nach einem
Fünftel der Zeit die Spezifikationsphase unterbrochen wird und die
vorhandene Spezifikation lediglich soweit vervollständigt wird,
dass ein Produkt geschrieben werden kann, das (gerade noch) gut genug
ist, um die Anforderungen des Kunden zu erfüllen. (Vgl. hierzu die
Hinweise zu Projekt-Modellen in der Praxis im Kapitel über Kosten und Aufwände)
- Dem Kunden wird nicht deutlich kommuniziert, dass erst nach
Ende der Spezifikationsphase ein verbindlicher Kostenvoranschlag
für die Entwicklung möglich ist.
- Das Projektmanagement erlaubt dem Auftraggeber, nach Beginn
der Entwicklungsphase weitere Anforderungen ohne ordentliches Change
Request-Verfahren einzubringen.
- Zeit, Budget, Ressourcen und Anforderungen werden vom Kunden oder
vom gehobenen Management diktatorisch vorgegeben und stehen nicht in
angemessenem Verhältnis zueinander, und der Projektmanager
akzeptiert dies ohne Widerspruch.
- Das Projektmanagement sieht nicht genügend Zeit und
Ressourcen für den geforderten Leistungsumfang vor.
- Vom Projektmanager wird nicht berücksichtigt, dass der
Analytiker nicht im geplanten Umfang verfügbar ist.
- Budget oder Ressourcen werden gekürzt oder das Lieferdatum
wird vorverlegt, ohne dass das Projektmanagement dafür sorgt, dass
die Anforderungen reduziert werden.
Sicher gehört Mut dazu, ein Projekt nicht anzunehmen bzw. seinen
Abbruch zu empfehlen, wenn man selbst der Projektmanager ist. Dies ist
aber für das Unternehmen auf jeden Fall der bessere Weg, als Geld
in einem Projekt unverantwortlich zu versenken. Der Projektmanager muss
dazu das mittlere und höhere Management offen und vollständig
über
den Sachverhalt informieren und auch willens sein, schlechte
Nachrichten zu überbringen.
Beispiele aus der Praxis
In einem Projektmanagerkurs (nicht nur IT!) wurden von den zwölf
Teilnehmern verschiedene Szenarien vorgestellt und diskutiert. Zwar war
man sich bei bestimmten Szenarien immer wieder einig, dass es nicht zu
einem erfolgreichen Projektende führen konnte, jedoch konnte sich
bis auf
einen Teilnehmer niemand dafür entscheiden, das Projekt
abzubrechen
oder abzulehnen. Dieser einzige Teilnehmer, der auch der einzige
Freiberufler
im Kurs war, begründete seine Haltung damit, dass er sich selbst
recht
rasch aus dem Geschäft katapultieren würde, wenn er
Lieferzusagen
geben würde, die er nicht einhalten könne. Er insistierte
darauf,
dass das mittlere und gehobene Management bzw. sein Auftraggeber
objektiv
über den gegebenen Sachverhalt zu informieren sei und dass dazu
auch
gehört, schlechte Nachrichten zu überbringen.
Im selben Kurs erklärte ein Dozent, dass er den Abbruch von
Projekten empfohlen hatte, in die bereits zweistellige Millionensummen
investiert worden waren. Bei den Projekten war abzusehen, dass das
gelieferte Produkt nicht mehr die Marktbedürfnisse befriedigen
würde. Dem federführenden Unternehmen wurde dadurch der
zusätzliche Verlust eines größeren zweistelligen
Millionenbetrags erspart.
Einflussnahme auf die Analysephase
Mit einem Business Analysten ist es wie mit einem Lotsen: So, wie
ein Lotse ein Schiff in ihm bekannten gefährlichen Gewässern
steuert, übernimmt der Business Analyst die Anforderungsanalyse
und
die Führung des Kunden zum Anforderungsdokument. Entreisst der
Kapitän
dem Lotsen das Steuer, so ist es ein Glücksspiel, ob er durch die
gefährlichen Gewässer findet. Der Analytiker orientiert sich
an den vor Projektbeginn vereinbarten Richtlinien, die i.d.R. durch
Unternehmenskultur
und Qualitätsmanager vorgegeben werden. Risiken für eine
erfolgreiche
Anforderungsanalyse entstehen in folgenden Fällen:
- Das Projektmanagement ändert die Ansprüche an eine
Anforderungsanalyse während der Analysephase.
- Das Projektmanagement versucht ohne Rücksprache mit dem
Kunden, Anforderungen zu ändern oder zu streichen oder
zusätzliche Anforderungen aufzunehmen.
- Das Projektmanagement verbietet dem Analytiker die freie
Interaktion mit dem Kunden.
Unterstützung
Mangelhafte Unterstützung eines Projekts, sei es nun durch den
eigenen Projektmanager, den Auftraggeber oder das obere Management,
führt zu
der absurden Situation, dass die ausführende Ebene ohne oder gar
gegen die Führungsetage im Sinne des Unternehmens handeln soll.
Projektrisiken für die Analysephase sind:
- Dem Projekt fehlt generell die aktive Unterstützung durch
das höhere Management.
- Das höhere Management hat dem Fachbereich nicht klar genug
kommuniziert, dass die Anforderungsanalyse aktiv unterstützt
werden muss.
- Ressourcen werden entzogen, Budget gekürzt oder
Liefertermine vorverlegt, ohne den geforderten Leistungsumfang zu
reduzieren.
- Reviews, Abnahme oder Entscheidungen zu Anforderungen werden zu
langsam gefällt.
- Das Projektmanagement oder andere Mitarbeiter des Managements
sabotieren das Projekt.
- Das Projektmanagement informiert den Analytiker nicht über
aktuelle Entwicklungen im Projektumfeld.
- Das Projektmanagement hält sich nicht über die
Entwicklung der Analyse auf dem laufenden, insbesondere beachtet es
nicht die Berichte des Analytikers.
- Das Projektmanagement arbeitet nur halbherzig mit dem Analytiker
zusammen, oder aber es blockiert die Analysephase durch Bürokratie.
- Das Qualitätsmanagement arbeitet nur halbherzig mit
dem Analytiker zusammen, oder aber es blockiert die Analysephase durch
Bürokratie.
- Das Risikomanagement arbeitet nur halbherzig mit dem Analytiker
zusammen, oder aber es blockiert die Analysephase durch Bürokratie.
Organisation
- Die Anforderungsanalyse ist noch nicht fertig, aber das
Entwicklerteam steht schon bereit.
- Dem Analytiker wird ungestörtes Arbeiten nicht
ermöglicht, z.B. durch Lärm am Arbeitsplatz.
- Arbeitsmittel stehen nicht rechtzeitig bereit, z.B. Telefon, PC,
Freischaltung von Benutzerkonten.
Risiken der
Anforderungsanalyse
im Verantwortungsbereich des Auftraggebers
Endanwender
Der Endanwender muss mit dem fertigen Produkt arbeiten.
- Der Endanwender unterstützt die Anforderungsanalyse nicht
aktiv.
- Der Endanwender hält Informationen zurück bzw.
artikuliert nicht seine Bedürfnisse.
- Der Endanwender befasst sich nicht mit einem Prototypen.
Entscheider
Sehr häufig ist sich ein Auftraggeber über Mitverantwortung
und Mitwirkungspflicht am Gelingen eines Projekts nicht im Klaren.
Insbesondere in stark
politisierten Arbeitsumgebungen versuchen
Auftraggeber die Verantwortung für den Projekterfolg
vollständig an den
Auftragnehmer zu delegieren. I.d.R. hat ein Analytiker mit diesen
Auseinandersetzungen nicht viel zu tun, jedoch kann es vorkommen, dass
sein eigener Projektleiter (eher, wenn er auf
Seiten des Auftragnehmers arbeitet) nicht seiner Pflicht nachkommt,
seinem
Team und somit auch dem Analytiker die Arbeit zu ermöglichen.
- Der Auftraggeber schließt den Endanwender von der
Anforderungsanalyse aus.
- Die Anforderungen ändern sich laufend ("moving target"),
sodass es nicht zu einer Abnahme kommt.
- Nach Abnahme der Anforderungsanalyse und Entwicklungsbeginn
besteht der Kunde auf weiteren Anforderungen, ohne sich an ein Change
Request-Verfahren zu halten.
- Entscheidungen über Anforderungen dauern lange.
- Der Auftraggeber nimmt an Reviews der Anforderungsanalyse oder
eines Prototypen nicht teil.
- Der Auftraggeber verweigert die Abnahme des Anforderungsdokuments
ohne konkrete Reklamationen.
- Der Auftraggeber verweigert oder verzögert die Abnahme des
Anforderungsdokuments, verlangt jedoch dennoch den Beginn der
Produktentwicklung.
Risiken der
Anforderungsanalyse im Verantwortungsbereich von Zulieferern
Zwar liegt die Verantwortung über den Umgang mit Zulieferern in
den
Händen der Projektleitung, aber es gibt einige Berührpunkte
mit
dem verantwortlichen Analytiker. Entweder muss der Analytiker sein
fachliches
Urteil über gelieferte Komponenten abgeben, oder er spezifiziert
Komponenten,
die von Zulieferern, häufig ohne weitere Kontrolle, implementiert
werden
sollen.
- Gelieferte Dokumentationen und Schnittstellenbeschreibungen
sind nicht korrekt.
- Dokumentationen und Schnittstellenbeschreibungen werden nicht
rechtzeitig geliefert.
- Beauftragte Komponenten werden nicht rechtzeitig wie spezifiziert
geliefert.
- Der Zulieferer interpretiert die Anforderungsanalyse ohne mit dem
Analytiker Rücksprache zu nehmen.
- Der Zulieferer zieht den Analytiker nicht zum Review von
Architektur und Design hinzu.
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© Karl Scharbert